Oberster Gerichtshof lässt Tonträger-Industrie mit Klage gegen Filesharing abblitzen
Wenn Sie, verehrte Leserinnen und Leser, zu Hause einen Internet-Anschluss haben und Ihre Kinder gerne Musik aus dem Web hören, sollten Sie den folgenden Text besser nicht lesen. Oder im Streitfall nicht zugeben, dass Sie es getan haben. Denn manchmal ist es ganz hilfreich, nicht allzu viel zu wissen.
Es geschah am Samstag, dem 11. 11. 2006, von 11.48 Uhr bis 12.03 Uhr: Von einem privaten Computer in Tirol aus wurden per Internet 1627 Musiktitel zum Herunterladen angeboten. Illegal, wie die für die Tonträger-Industrie tätige Verwertungsgesellschaft LSG wohl zu Recht meinte. Mit einem Brief forderte die LSG den Inhaber des Anschlusses auf, wegen Verletzung des Urheberrechts Schadenersatz zu zahlen, die Kosten des einschreitenden Anwalts zu begleichen und die Musiktitel wie auch das zur Verbreitung geeignete Programm „LimeWire“ zu löschen. Und eine verbindliche Erklärung abzugeben, solche Verstöße in Hinkunft zu unterlassen.
Doch der Mann weigerte sich zu zahlen – auch er damit im Recht, wie sich herausgestellt hat. Der Oberste Gerichtshof ließ die LSG mit ihrem Versuch abblitzen, gegen den vermeintlichen „Raubkopierer“ gerichtlich vorzugehen. Die verfängliche Aktivität war nicht von ihm ausgegangen, sondern von seiner 17-jährigen Tochter. Und dafür haftet der Vater nicht, weil er völlig ahnungslos war.
LimeWire ist ein Musiktausch-Programm: Man sucht Titel im Web, speichert und verwaltet sie – eventuell neben Stücken von CDs –, und man bietet sie, oft ohne es zu wissen, anderen Usern zum Kopieren an, die ebenfalls LimeWire benützen und gerade online sind. In Österreich ist das Kopieren für den eigenen Gebrauch erlaubt, aber nicht die Weitergabe.
Von drohenden Urheberrechtsverletzungen wusste der Vater allerdings nicht. Es war aber sein Internet-Anschluss, der mit einem – später eingestellten – Strafverfahren ausgeforscht wurde. Zivilrechtlich nahm die LSG den Mann als Gehilfen eines Urheberrechtsverstoßes in Anspruch. Doch das war er nicht.
Mitverantwortlich macht sich nämlich nur, wer den Täter bewusst fördert. Er muss „den Sachverhalt kennen, der den Vorwurf gesetzwidrigen Verhaltens begründet“, so der OGH. Und, bezogen auf den Tiroler Fall, weiter: „Das bloße Zurverfügungstellen des Computers mit Internetzugang schuf zwar eine adäquate Ursache für die spätere Rechtsverletzung, der Beklagte musste aber mangels irgendwelcher Anhaltspunkte nicht damit rechnen, dass seine Tochter bei Nutzung des Internets in Urheber- und/oder Werknutzungsrecht eingreifen würde“ (4 Ob 194/07v). Erst in dem Moment, als der Vater das Schreiben der LSG erhielt, mussten ihm die Augen aufgehen. Er reagierte, indem er das Programm deinstallierte und sich dies durch einen EDV-Techniker bestätigen ließ.
Die LSG zog ihre Klage zurück. „Die Entscheidung ist trotzdem kein Freibrief“, warnt Bernhard Wörgötter, Rechtsanwalt in St. Johann und erfolgreicher Vertreter des Vaters. „Eltern können durchaus als Anschlussinhaber in die Haftung als Gehilfen kommen, wenn sie von den Vorgängen wissen oder doch ganz konkrete Hinweise darauf nicht verfolgen und die Sache nicht sogleich abstellen.“ Die Tochter könnte übrigens sehr wohl haften; Klagen gegen Minderjährige sind für Wörgötter aber „vermutlich schon aus Imagegründen problematisch“; in aller Regel verfügen sie auch nicht über die nötigen finanziellen Mittel.
Quelle: Die Presse, Print-Ausgabe, 04.03.2008 (BENEDIKT KOMMENDA)
Eingereicht von: Sascha Mahdavi
Entscheidung des OGH: 22.01.2008, 4 Ob 194/07v
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